FAUST.
Vor genau 250 Jahren, im Jahre 1775, wurde Goethe von Herzog Carl August an seinen Hof nach Weimar berufen. Anlässlich dieses denkwürdigen Jubiläums widmet die Kulturstadt Weimar das Themenjahr 2025 dem berühmtesten literarischem Werk Goethes: Faust. In dem Drama erzählt Goethe die Geschichte des alten Gelehrten Faust, der sich im Streben nach absoluter Erfüllung Mystik und Magie zuwendet und einen Pakt mit Mephisto schließt – nur um zwischen Begierde und moralischem Verfall zerrissen zu werden.
An der Bastille, zu Genius Loci Weimar 2025 illuminiert, verdichtet sich das Zusammenspiel von Literatur und Wirklichkeit. Hier verbrachte die Dienstmagd Johanna Catharina Höhn vermutlich ihre letzten Tage in einer Arrestzelle – denn der Hofbeamte Goethe hatte 1783 für die Hinrichtung der Kindsmörderin gestimmt.
Dieser reale Fall steht in direktem Bezug zur Gretchentragödie, dem Herzstück von Faust I. Das fromme Gretchen, von Faust verführt und ins Verderben gestürzt, tötet ihr gemeinsames Kind – dieses Schicksal des literarischen Gretchens wird von Goethe als ergreifende Tragödie gestaltet. Doch gegen das ‚reale‘ Gretchen Johanna Catharina Höhn fällte der junge Goethe nicht weniger als ein Todesurteil.
Goethes Faust durchleuchtet das Paradox menschlicher Existenz – das unstillbare Verlangen nach Erfüllung, die brüchigen Grenzen der Moral, die unausweichliche Schuld. Diese Themen werden greifbar in der berüchtigten Walpurgisnacht, wo Faust sich im Taumel rauschhafter Ekstase der menschlichen Vernunft zu entziehen versucht, nur um von quälender Reue eingeholt zu werden. In dieser surrealen Nacht voller mystischer Wesen und teuflischer Pakte bricht Goethe die Dialektik von Gut und Böse auf – verkörpert durch den rätselhaften Mephisto, der „stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Diese Einsicht in moralische Ambivalenz kontrastiert scharf mit den klaren juristischen Urteilen des realen Goethe.
Die Mauern der Bastille sind mehr als bloße Kulisse: In ihren Steinen verbirgt sich die Frage nach persönlicher Schuld und gesellschaftlicher Verantwortung, nach der Schnittstelle zwischen Gut und Böse. Sie werfen die Frage auf, was wäre, wenn Gretchens und Höhns Tragödien nicht bloß historische Anekdoten, sondern ein Spiegel unserer Zeit wären.
In unserer heutigen Welt scheint der fatale faustische Hedonismus erneut von Mephisto entfacht zu werden – diesmal in Gestalt von Populisten jedweder Couleur, die weltweit Auftrieb und Anklang erfahren. Vielleicht sind die wahren Teufelspakte dann dabei jene, die wir nicht willig unterschreiben, sondern schweigend hinnehmen?